Alltägliches
Das vorweg zur Beruhigung unserer Eltern und Großeltern: Wir haben es nicht selbst ausprobiert. Aber unseren geneigten Lesern wollen wir den Blick auf den Blutspendebus in Shanghai nicht werwehren. Ein paar Mal haben wir ihn schon am People's Square gesehen, ganz frisch sieht er nicht aus, aber der eine oder andere Spendewillige scheint sich von Zeit zu Zeit doch hinein zu verirren.

Teilillustrierte Plakate klären außen darüber auf, wie die Blutspende funktioniert und was mit dem gewonnenen Blut veranstaltet wird. Zumindest nehmen wir das an, lesen können wir es ja nicht. Aber die bunten Bilder lassen Gutes vermuten.
Bianka hat von vornherein ausgeschlossen, dass wir uns aktiv mit ein paar Millilitern beteiligen. Vermutlich hat sie noch die Bilder der Gesundheitsprüfung für die Aufenthaltserlaubnis im Kopf. Aber bei der Blutspende in Oberursel gab es zur Stärkung nach der Spende immer leckere Rindswürste. Also für eine gute Rindswurst würde ich es inzwischen vielleicht auch hier wagen...
stolli - 21. Jun, 14:08
Laut Klimatabelle ist der Juni der feuchteste Monat in Shanghai. Das hat sich in den letzten zwei Wochen auch schon in Form von Dauerregen bestätigt. Spätestens seit heute kann man sich nun zusätzlich über die hohe Luftfeuchtigkeit beklagen, die für uns Mitteleuropäer schwer zu ertragen ist. Wie gut, dass die Büros klimatisiert sind.
Tritt man dann nach Feierabend vor die Bürotüren, läuft man wie gegen eine Wand. Die Kollegen von der Gebäudeverwaltung (hier "Facility Manager" - oder "Hausmeister" für unsere älteren Leser ;-)) übertreiben es natürlich auch ein wenig mit der Kühlung der Büros (wir handeln schließlich nicht mit frischem Fisch...), so dass Unterschied bei Temperatur und Luftfeuchtigkeit zwischen drinnen und draußen nicht zu knapp ausfällt.
Laut Wetterstation betrug die Luftfeuchte heute abend satte 84 %. Das ist fast wie bei einem Aquarium! Oder um es ein wenig anschaulicher zu machen: Die Luft gleicht der in einer überfüllten Herrensaune kurz nach dem vorletzten Aufguss. Mit dem Unterschied, dass neben der Stadt leider keiner ein überdimensionales Handtuch schwingt. Die Luft steht. (Außer wenn mal ein Bus mit gefühlten 90 Sachen über die eigentlich für Fußgänger freigegebene Kreuzung brettert...)
Für den Heimweg - ich brauche tragischerweise von allen drei nahegelegenen U-Bahn-Stationen exakt die gleiche Zeit bis zu unserer Haustür, nämlich knapp 30 Minuten - bedeutet das erhöhte Transpiration. Und obwohl ich die zwei oberen Hemdknöpfe heute total lässig offen trug, war ich klatschnass, als ich zu Hause ankam. Wenn ich mir für den Weg zwei Persil-Tabs unter die Achseln klemmen würde, könnten wir die Maschinenwäsche sparen. Fast jedenfalls. ;-)
stolli - 19. Jun, 20:52
Zum 1. Juni ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das es Ladenbesitzern verbietet, Kunden kostenlose Plastiktüten zur Verfügung zu stellen. Heute kamen wir zum ersten Mal in den Genuss dieser Regelung: Bei unserem spontanen Ausflug zum "City Shop" nach der Arbeit wurden uns für zwei Beutel jeweils 0,2 RMB berechnet. Das sind insgesamt fast 4 Eurocent.
Wenn man im gleichen Atemzug für fünf kleine Päckchen "Knorr Salatkrönung" umgerechnet fast 2,50 Euro bezahlt, fällt das zwar kaum ins Gewicht. Aber der Ansatz ist ja nicht schlecht, denn bislang wurden die bunt bedruckten Tragehilfen an allen Ecken großzügig verteilt. (Die Sammlung unter unserer Spüle dürfte seit gestern schwer an Wert gewonnen haben!)
So fing das in Deutschland doch auch mal an, oder? Ich sehe schon Herscharen von Chinesen vor mir, die sich mit erdfarbenen Jutetaschen und in viel zu großen Batik-T-Shirts und Sandalen ihren Weg zum nächsten Teehaus bahnen. Wenn es statt Hühnerfüßen dann auch nur noch Müsli gibt, bitteschön! ;-)
stolli - 2. Jun, 22:42
Heute Morgen habe ich zum ersten Mal die U-Bahn für den Weg zur Arbeit genutzt. Zurück hatte sie mich schon oft gebracht, heute Morgen also auch in Richtung meiner Wirkungsstätte.
U-Bahn-Fahren in Shanghai folgt einem jahrmillionenalten Prinzip: Survival of the fittest. Wer sich zu den Stoßzeiten öffentlichen Transportmitteln anvertraut, begibt sich in einen gnadenlosen Wettkampf, eine unbarmherzige Auslese. Es geht dabei nicht um banale Nebensachen wie spärlich vorhandene Sitzplätze oder die Frage Fenster auf/Fenster zu, die auch in westlichen S-Bahnen Konfliktpotential bergen kann. Es geht um's Ganze: Wer dem Gedränge vor den Schiebetüren der Wagen nicht gewachsen ist, wer zögert, pennt oder einfach nur nett sein will, sollte lieber weiterhin den Bus in Eschborn nehmen. Nur wer Nehmerqualitäten beweist, kein Mitleid zeigt und sich dabei auch von scharenweise entgegenkommenden, aussteigewilligen Passagieren nicht von seinem Ziel abbringen lässt, kommt weiter.
Ein ähnliches Bild bietet sich an den unterirdischen Stationen. Nicht nur dass jede einzelne die Ausdehnung einer deutschen Kleinstadt zu haben scheint (inklusive der dazugehörigen Bevölkerung), die Gänge sind etwa so zahlreich und verschlungen wie die charakteristischen Bestandteile eines mittelgroßen Maccaronigerichts. Man weiß nie, wo man rauskommt. Manche Ausgänge sind nummeriert - und zu bestimmten Zeiten gesperrt. An den unzähligen Ladengeschäften, kann man sich ebenfalls kaum orientieren, denn die scheinen sich alle hundert Meter zu wiederholen. (Ihre Besitzer übrigens auch, aber das ist auch überall sonst Problem...)
"Im Westen" würde man sich halt mal umschauen: Kann ja nicht so schwierig sein, von einer Ecke in die andere zu kommen, um sich schnell zu orientieren. Und ob! Dort wo mal keine Kunststoffbanden vom unberechtigten Zutritt abhalten, sind es zur Hauptverkehrszeit lebendige Barrieren: Scheinbar unendliche Ströme zielstrebig eilender Asiaten teilen die wenigen Hallen der Stationen nach allen Regeln der Geometrie. Wer passieren will, muss sich wie Jay Jay Okocha zu seinen besten Zeiten durch die eng gestaffelten Reihen zaubern. Immer schön in Bewegung bleiben!
Fazit: Wer übermäßigen Körperkontakt mag, kann in der U-Bahn von Shanghai zu Hauptverkehrszeiten allemal auf seine Kosten kommen. Was deutschen Bahnreisenden nur zu Großereignissen vorbehalten ist, dürfte man hier jeden Tag bekommen. Gerade bei sommerlichen Temperaturen nicht immer ein olfaktorischer Genuss, aber umfallen kann man ja nicht. Wir haben uns schon oft gefragt, warum es so viele Chinesen gibt. Andere Länder wie die USA, Russland oder Kanada sind ja auch groß, aber irgendetwas muss die Reproduktion bei den Chinesen besonders begünstigt haben. Naja, vielleicht haben wir heute eine Antwort gefunden?
stolli - 30. Mai, 22:37
Tatsache, der Shanghaier Mai ist in vieler Hinsicht wunderbar, vor allem aber das Wetter ist ein Traum! Wir haben schon seit Tagen sehr schönen Sonnenschein und traumhafte sommerliche Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad.
Nicht allzu verwunderlich ist es deshalb, dass der Pool unserer Wohnanlage stark frequentiert ist, vor allem am Wochenende. Hier einige Eindrücke.

Nur die Chinesen nehmen weiterhin den Sonnenschirm auf Schritt und Tritt mit, damit sich ja keine verräterische Bräune einstellt. :-) Für uns bedeutet das: mehr Platz am Pool und keine Not, schon in Allerherrgottsfrühe Handtücher auslegen zu müssen.
stolline - 22. Mai, 22:17
Unser Fahrer ist ja immer für Überraschungen gut: Ob er mit einem Parkplatzwächter die kostenfreie Durchfahrt verhandelt oder uns abends mit einem spontanen "Tschüss" verabschiedet, wir fühlen uns immer gut aufgehoben. Heute Mittag stand er jedenfalls unerwartet mit einer Schüssel frischer Erdbeeren vor unserer Tür. :-)

stolli - 18. Mai, 17:44
Als vergleichsweise harmlose Folge des Erdbebens von Montag plagt meine Kollegen und mich derzeit Muskelkater bislang selten erlebten Ausmaßes. Offenbar steckt uns der zügige Abstieg über 41. Stockwerke in Waden und Oberschenkeln. Jedenfalls tigerten wir heute alle etwas ungelenk zwischen den Schreibtischen umher.
Auch sonst brauche ich wohl noch einige Arbeitstage, um das Beben zu verarbeiten. Ein paar Mal hatte ich heute das Gefühl, das Gebäude würde wieder schwanken. War aber wohl nur Einbildung. Hier macht man was mit!
stolli - 14. Mai, 23:10
Noch bevor ich überhaupt dazu kam, an dieser Stelle über meinen neuen Job zu berichten, konnte ich heute in unserem Büro meine erste Erdbebenerfahrung machen. Unsere Geschäftsräume sind im 41. Stock eines Hochhauses, etwa zehn Gehminuten vom People's Park entfernt. Bislang hatte ich mir noch keine Gedanken über die Statik des Hauses gemacht, und wegen der liftfreundlichen Höhe hatte ich auch die Frage nach dem Treppenhaus noch nicht gestellt.
Gegen kurz vor drei heute Nachmittag hatte ich das Gefühl, das alles um mich herum etwas schwankte. Zuerst dachte ich, mir wäre vielleicht das Mittagessen beim Japaner (gegrilltes Hühnchen) nicht gut bekommen. Aber das schien es nicht zu sein, irgendwie schien meine Wahrnehmung noch ganz klar. Dann sah ich die Schnur, mit der wir den Rolladen aufziehen, die wie ein Pendel einige Zentimeter nach rechts und links schwenkte. Offenbar war tatsächlich das Gebäude in Bewegung!
Bei meinen Kollegen kam auch langsam Unruhe auf. Nach einer hektischen Bestandsaufnahme - unser Gebäude schwankt! - rafften wir persönliche Dinge wie Handy und Jacke zusammen und verließen eilig das Büro Richtung Treppenhaus - die Lifte schienen nicht das geeignete Fortbewegungsmittel. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir natürlich nicht, was vor sich ging. Von oben hatte man nicht erkennen können, ob sich die Nachbargebäude auch bewegten. Deshalb war meine größte Angst, dass es sich um ein ernstes "Problem" mit unserem Gebäude handeln könnte. Für ein Erdbeben, dachte ich mir, hätte man möglicherweise beim Bau vorgesorgt.
Im Treppenhaus ging es über viele Stufen recht zügig nach unten. Ich habe die Minuten nicht gezählt, aber am Ende werden es doch einige gewesen sein. In jedem Stockwerk ordneten sich weitere Menschen in die lange Schlange der Flüchtenden ein. Dafür ging es aber sehr zivilisert zu, für chinesische Verhältnisse wirklich erstaunlich zivilisiert! Und trotzdem ein mulmiges Gefühl, als man nach unzähligen Treppenstufen erst das Schild "30 F" (für 30. Stock) passierte. Da war es bis nach unten noch ein weiter Weg...
Unglücklicherweise gab es in einigen Stockwerken im Treppenhaus kein Licht, aber offenbar hatten einige Leute Taschenlampen dabei. Ich hielt mich an einen Kollegen aus Kalifornien, weil ich bei ihm am ehesten Erdbebenkompetenz vermutete. (Zur Auswahl standen sonst noch ein Franzose und ein Däne...) Selbst in Bewegung merkte man gar nicht, ob das Gebäude weiter schwankte.
In den tiefer gelegenen Stockwerken kamen uns kurioserweise Leute entgegen, die unten offenbar gar nichts von den Schwankungen mitbekommen hatten. Trotzdem waren wir erleichtert, als wir schließlich den Vorplatz des Gebäudes erreicht hatten. Dort standen wir dann und schauten an der Fassade nach oben. Irgendwie hatte man immer noch das Gefühl, das sich der Boden bewegte. Aber vielleicht steckten uns auch einfach die Treppenstufen von 41. Stockwerken in den Beinen.
Da sich vor den Nachbargebäuden auch Menschentrauben gebildet hatten, war schnell klar, dass die Erschütterung zumindest unseren Straßenzug erfasst haben musste. "Wer weiß, wer da wieder eine U-Bahn gräbt," scherzten wir etwas erleichtert. Erst einige Minuten später sickerte langsam durch, dass es weit von uns entfernt ein schweres Erdbeben der Stärke 7,8 gegeben haben musste. Doch auf unseren Straßen herrschte Normalität (das übliche Chaos eben). Die Nachricht schien nur langsam die Runde zu machen, vielleicht hielt sich die Betroffenheit hier aber auch in Grenzen. Das katastrophale Ausmaß in der Provinz Sichuan wird ja auch erst in diesen Stunden sichtbar.
Von uns hatte keiner ein gutes Gefühl, dass Bürohaus heute noch einmal zu betreten. Die Frage war ohnehin, wer denn nun beschließen könnte, das alles sicher sei. Unser Chef verabschiedete uns also für diesen Nachmittag. Ich rief Bianka an, die ebenerdig von dem Beben gar nichts gemerkt hatte. Offenbar war die Erschütterung in Shanghai tatsächlich nur in den hohen Gebäuden spürbar.
Jetzt hoffen wir, dass es keine weiteren Nachbeben gibt. Ich habe für lange Zeit erstmal genug Erdbeben gehabt. Unser Fahrer berichtete uns heute Abend auf der Heimfahrt mit der ihm eigenen Ruhe, dass er in seinen 53 Lebensjahren in Shanghai noch nie ein Erdbeben erlebt habe. Das soll auch noch lange so bleiben.
Die Vokabel des Tages heißt "dìdòng" - "Erdbeben".
stolli - 12. Mai, 23:55
Ein Großteil der Geschäfte des Warenaustauschs und der Dienstleistungen des täglichen Lebens wird in den noch eher traditionell geprägten Stadtteilen Shanghais in kleinen Läden und sogar auf dem Bürgersteig abgewickelt. An zahlreichen Ecken haben sich Open-Air-Friseure mit ihren luftigen Salons zum Haareschneiden unter freiem Himmel niedergelassen. Das scheint bei gutem, trockenem Wetter durchaus angenehm zu sein, bei Regen jedoch eher ungemütlich.

Dafür dürfte sich im letztgenannten Fall aber die Frage des Figaro erübrigen: „Trocken- oder Nasshaarschnitt?“
stollipolo - 6. Mai, 00:01
Chinesen sind praktisch veranlagt. Wir treffen hier tagtäglich Kleinkinder – häufig auf der Mutter Arm – mit einem Schlitz im Hosenhinter(n)teil. Das muss wohl ungemein praktisch und der Entsorgung durchaus zuträglich sein, dürfte in der kalten Jahreszeit aber einen kalten Po verursachen, wenn die gesamte Anlage nicht rechtzeitig winterfest gemacht wird.
Irgendwie passen aber auch Schlitzhosen zu Schlitzaugen. Hauptsache keine Schlitzohren.
stollipolo - 5. Mai, 00:35